Natur, Körper und Psyche in Harmonie
Die attraktive Tourismusdestination Pontresina bot einen würdigen Rahmen für den ersten Schweizer MBM-Kongress, eingebettet in eine traumhafte Naturlandschaft im sonnigen Engadin. Die Ortswahl dieser Veranstaltung, die im November 2024 über 150 Spezialisten aus unterschiedlichsten medizinischen Disziplinen anlockte, war kein Zufall. Für Claudia Witt, Professorin für Komplementär- und Integrative Medizin an der Universität Zürich und Präsidentin des Schweizer Fachverbands Mind Body Medicine, spielt die Natur eine wesentliche Rolle: «Es gibt zunehmend Evidenz dafür, dass sich der Kontakt mit der Natur positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken kann.» Der Kongress, der abwechslungsweise im Kursaal, in umliegenden Wäldern und im Hotel «Maistra 160» abgehalten wurde, räumte der Naturerfahrung viel Platz ein.
Der Mensch im Mittelpunkt
Mind Body Medicine ist ein ganzheitliches Gesundheitskonzept, das darauf abzielt, die Wechselwirkung zwischen psychischen, seelischen und körperlichen Aspekten des Menschen zu stärken und für die Genesung zu nutzen. Dieser Ansatz nutzt verschiedene wissenschaftlich bewährte therapeutische Methoden, um das Wohlbefinden des Einzelnen ganzheitlich zu fördern und Beschwerden oder Krankheiten gezielt anzugehen. Für Claudia Witt ist es eine Herangehensweise, die sowohl therapeutisch als auch präventiv funktioniert: «Wir haben immer mehr chronische Krankheiten und leiden oft unter chronischem Stress. Unsere Medizin ist hochspezialisiert, sodass Patienten und Patientinnen auf der Suche nach Behandlung oft verschiedene Spezialisten aufsuchen. Zudem ist Prävention in der Schweiz in der Grundversicherung kaum vorgesehen. Mind Body Medicine ermöglicht es dem Menschen, etwas selber zu tun, das in sein Umfeld passt.» Doch was genau verbirgt sich dahinter? Woher stammt der Begriff und wie wird MBM weltweit und in Europa – insbesondere in der Schweiz – eingesetzt? Und – vor allem – welche Vorteile bietet dieses Konzept? MBM ist ein interdisziplinärer Ansatz, der auf der Verbindung und Wechselwirkung von Psyche und Körper basiert. Die Grundidee ist, dass unsere psychische Stimmungslage – wie etwa Stress, Ängste oder Lebensfreude – einen direkten Einfluss auf unseren Körper und unsere Gesundheit haben kann und umgekehrt.
Psychische Belastungen wie Stress und Angst können den Körper schwächen und Krankheitsprozesse begünstigen, während positive mentale Zustände wie Gelassenheit und Zufriedenheit die Gesundheit fördern können. Im Rahmen der MBM kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, darunter auch Yoga, Achtsamkeitstraining, Entspannungsübungen und körperliche Aktivität um das so genannte psychophysiologische Gleichgewicht zu unterstützen, Symptome zu lindern oder auch Heilungsprozesse positiv zu beeinflussen. Auch Ernährungsumstellungen und körperliche Bewegung in der Natur spielen eine wesentliche Rolle.
Ursprung in den USA
Mind Body Medicine stammt aus den USA und entwickelte sich in den 1960er- und 70er-Jahren im Zuge des zunehmenden Interesses an ganzheitlichen Heilmethoden. MBM-Pioniere wie Herbert Benson und Jon Kabat-Zinn trugen zur wissenschaftlichen Erforschung und Akzeptanz dieser Methode in der Schulmedizin bei. Benson prägte den Begriff «Relaxation Response» (Entspannungsreaktion) und erforschte die gesundheitlichen Vorteile meditativer Techniken für das Herz- Kreislauf-System. Kabat-Zinn entwickelte das heute bekannte Programm Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) zur Stressbewältigung – auf Deutsch: Programm zur Stressreduktion durch Achtsamkeit. Zahlreiche Studien zeigen, dass Achtsamkeitsübungen, Yoga und andere MBM-Techniken positive Effekte auf den Blutdruck, die Herzgesundheit und das Immunsystem haben können. Mind Body Medicine wird zunehmend in einem klinischen Kontext verstanden und eingesetzt.
Zunehmende Akzeptanz
In den USA gilt MBM mittlerweile als fester Bestandteil der integrativen Medizin. Hier werden MBM-Programme in zahlreichen Kliniken als Teil integrativer Gesundheitsangebote geführt. Die Harvard Medical School erforscht MBM als evidenzbasierte Methode. In Europa hat insbesondere Deutschland eine Vorreiterrolle übernommen und setzt MBM in zahlreichen Reha-Kliniken und Gesundheitszentren erfolgreich ein. Auch in der Schweiz findet MBM eine breite Anwendung und die Akzeptanz steigt stetig. Das Universitätsspital Zürich, und andere führende Schweizer Spitäler oder Kliniken – wie etwa das Kantonsspital St. Gallen – sowie Kurzentren bieten heute spezialisierte Programme und Workshops an, die auf dem MBM-Ansatz basieren. Im Rahmen der Rehabilitation, bei chronischen Erkrankungen oder hohen Stressbelastungen werden hier Techniken angewendet, die Stress abbauen und Schmerzen lindern.
Hilfe zur Selbsthilfe
Die Vorteile der Mind Body Medicine liegen in ihrer ganzheitlichen Herangehensweise. Sie ergänzt die klassische Schulmedizin, die sich oft auf die Behandlung der Symptome konzentriert. Dabei strebt MBM als integratives Konzept danach, die Ursachen von Beschwerden und Krankheiten auf mentaler, emotionaler und körperlicher Ebene gleichermassen anzugehen – und zwar mit aktivem Einbezug des Patienten. Daraus ergeben sich konkrete Wirkungsfelder:
1. Stressbewältigung und Entspannung: Techniken wie Meditation, Yoga und Achtsamkeit fördern die Entspannungsreaktion und können somit chronischen Stress reduzieren, was sich positiv auf das Herz-Kreislauf-System und das Immunsystem auswirkt.
2. Verbesserung des Wohlbefindens: Studien zeigen, dass die MBM-Praktiken das subjektive Wohlbefinden erhöhen und die Lebensqualität steigern können. MBM kann helfen, eine positive Lebenseinstellung zu fördern und die Resilienz gegenüber schwierigen Lebenssituationen zu stärken.
3. Schmerzlinderung: Achtsamkeitstraining und Meditation werden zunehmend zur Schmerzbewältigung bei chronischen Schmerzpatienten ergänzend eingesetzt. Sie können helfen, die Schmerzempfindung zu reduzieren und den Umgang mit Schmerzen zu verbessern.
4. Förderung der Selbstwahrnehmung: MBM unterstützt die Patienten dabei, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen besser zu erkennen und anzunehmen, was langfristig eine positive Wirkung auf das Selbstbild und die psychische Gesundheit hat.
5. Unterstützung bei Behandlung chronischer Krankheiten: Da MBM einen Einfluss auf das Immunsystem und entzündliche Prozesse haben kann, wird sie auch bei chronischen Krankheiten wie Rheuma, Asthma und Herzerkrankungen angewendet.
Menschen befähigen
Mind Body Medicine bietet eine wertvolle Ergänzung zur Schulmedizin, die es Menschen ermöglicht, aktiv zur eigenen Gesundheit beizutragen. Für Claudia Witt steht der Aspekt der Befähigung der Betroffenen an erster Stelle: «Menschen sollen selber etwas tun können und selbstwirksamer werden – gerne durch Achtsamkeit, Entspannung oder Bewegung und Kontemplation in der Natur, was im Grunde einfach im Alltag zu implementieren ist und wofür man keine teuren Geräte benötigt. » In der Schweiz findet dieser Ansatz immer mehr Anklang in der Gesundheitslandschaft und wird zunehmend als pragmatischen Weg zur ganzheitlichen Gesundheitsförderung wahrgenommen. Mit ihren vielseitigen Methoden bietet MBM den Vorteil, nicht nur Symptome zu lindern, sondern die Menschen auch zu einem gesunden und erfüllten Leben zu befähigen, das Körper und Psyche gleichermassen berücksichtigt und die Resilienz stärkt. Das wiederum könnte auch ein Weg sein, die dramatisch steigenden Gesundheitskosten in der Schweiz durch die präventive Wirkung von MBM einzudämmen.