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Wie Bitteres uns gesund machen kann

Vor oder nach einem üppigen Essen trinkt man gerne einen Apéro oder Digestif. Diese Getränke sind zumindest vom Grundgedanken her bitter. Die Wirkung der Bitterstoffe jedoch auf die Verdauungsförderung zu beschränken, wäre Verschwendung, denn sie können viel mehr.

Unsere Verdauung beeinflusst in grossem Masse unser körperliches Wohlbefinden. Damit ist nicht nur der Stuhlgang gemeint, sondern auch, wie unsere Verdauungsorgane mit dem Gegessenen umgehen. Die Verdauung ist ein komplexes Zusammenspiel zwischen verschiedenen Organen, Verdauungssäften, dem Nervensystem und verschiedenen anderen Steuersystemen. Auch unser Immunsystem spielt bei der Verdauung eine wichtige Rolle: Dank ihm werden unerwünschte Keime, die wir beim Essen zu uns nehmen, bekämpft. Und schliesslich erbaut und erneuert sich unser Körper aus dem, was wir zu uns nehmen. Deshalb sollten wir darauf achten, was wir essen.

Wie wir auf Bitteres reagieren

In der traditionellen europäischen Medizin, der sogenannten Humoralmedizin, nimmt die vollständige Umwandlung einer Substanz im Körper eine zentrale Rolle ein. Ein solcher Prozess ist auch die Verdauung. So verwundert es nicht, dass viele Rezepte für Heilmittel, welche die Verdauung positiv beeinflussen, bittere Kräuter enthalten. 

Pflanzen bilden Bitterstoffe, damit sie nicht gegessen werden. Das funktioniert, weil wir während der Evolution gelernt haben, dass Giftiges fast immer von bitterem Geschmack begleitet wird. Deshalb meiden wir Bitteres, auch wenn es gar nicht giftig wäre. Auf dieser Erkenntnis beruhen wohl auch die verschiedenen Wirkungen von Bitterstoffen. Essen wir Bitterstoffe, reagiert der Körper, als müsste er einem giftigen Stoff begegnen. Als erste Abwehrlinie dienen die Verdauungssäfte, die wir vermehrt produzieren und ausscheiden. Weiter wird die Durchblutung im Verdauungstrakt angeregt, was die Schleimhäute und das Lymphsystem stärkt. Die Lymphgefässe transportieren einerseits aus der Nahrung aufgenommene Fettbestandteile, und andererseits ist das Lymphsystem Teil unseres Immunsystems. Um allfälliges, bereits im Körper aufgenommenes Gift wieder rauszubringen, wird der Stoffwechsel angeregt. Es entsteht eine Art Klärungsstrom, der das Gift und zugleich auch Schlackenstoffe aus den Zellen und aus dem Körper schaffen soll. Über eine anregende Wirkung auf bestimmte Nerven des vegetativen Nervensystems wirkt Bitteres auch ausgleichend auf den Tonus eines Menschen. Der Tonus beschreibt den Grad der Anspannung unserer Nerven, Muskeln, Gefässe oder Organe. Wer zu wenig Tonus hat, also geschwächt ist, wird gestärkt, wer zu viel hat, wird entspannt. Wobei Bitterstoffe meist eher eine tonisierende, also stärkende Wirkung haben. Bitterstoffe sind ein wahrer Jungbrunnen. Sie verhelfen uns zu einer optimalen Verdauung, einem effektiven Stoffwechsel und durch das Entgiften und Entschlacken zu einem besseren Bindegewebe und zusätzlich zu einem stärkeren Immunsystem. In den alten Rezepten für «Lebenselixiere» spielten deshalb Bitterstoffe eine zentrale Rolle. Dennoch gilt es bei der Anwendung einiges zu beachten und zu bedenken. 

Bitter wirkt nicht gleich bitter 

Die Wirkung der Bitterstoffe entsteht auf verschiedenen Wegen. Ein Weg läuft über das Geschmackempfinden auf der Zunge. Die Zungenoberseite weist Geschmackknospen auf, die je nach Region verschiedene Geschmacksqualitäten erkennen können. An der Spitze erkennen wir Süsses, am vorderen Zungenrand beidseitig bis einen Drittel nach hinten Salziges, anschliessend am hinteren Zungenrand nehmen wir Saures wahr und an der Zungenwurzel das Bittere. Neben diesen «alt»-bekannten Geschmacksqualitäten werden noch mögliche weitere diskutiert wie Umami (fleischig-herzhaft) oder Fettes. Die Anzahl und die Empfindlichkeit der Geschmackknospen auf der Zunge verändern sich mit dem Alter und je nach Gewöhnung. Je älter wir werden, desto weniger Geschmacksknospen besitzen wir. 


Deshalb empfinden Kinder Bitteres ungleich stärker als Erwachsene.

Je mehr und öfter wir Bitteres im Mund haben (z.B. Bier), desto weniger Wirkung zeigt der bittere Reiz. Deshalb sollten bei einer längeren «Behandlung» mit Bitterstoffen nach einigen Wochen die Kräuter wegen einer möglichen Gewöhnung gewechselt werden. Das Wechseln der «Bitterstoffpflanzen» macht Sinn, da Bitterstoffe lediglich durch den bitteren Geschmack und nicht durch chemische Verwandtschaften zu einer Gruppe vereint werden. Das heisst, dass für den bitteren Geschmack einer Pflanze unterschiedliche Substanzen verantwortlich sind. Deshalb kann auch nicht die Konzentration einer Substanz gemessen und als allgemeiner Wert für die Bitterkeit herangezogen werden. Somit bestimmt man den Bitterwert (wie bitter ist ein Stoff oder eine Pflanze?) dadurch, in welcher Verdünnung eine Substanz oder ein Stoff gerade noch als bitter erkannt wird. Die bitterste, natürliche bekannte Substanz kommt aus dem Gelben Enzian, die auch in einer Verdünnung von 1 zu 58 Millionen noch als bitter erkannt wird. Ein Tee des Enzians hat einen Bitterwert von bis zu 30 000. Das bedeutet, dass ein Gramm getrocknete Enzianwurzel in 30 000ml (30 Liter) noch bitter schmeckt. Auch der Wermut erreicht einen beachtlichen Bitterwert von bis zu 20 000. Oft ist es sinnvoll, zu Beginn weniger deftige Bitterstoffe wie Artischocke, Schafgarbe, Tausendgüldenkraut oder gar Löwenzahn (Pflanzen nach absteigendem Bitterwert aufgezählt) anzuwenden und die Stärke langsam zu steigern. Bei der Wahl der Bitterpflanze sollten auch Organzustand, Energetik und die Beschwerden des Menschen zu berücksichtigen. 

Bitterstoffe kommen auch in vielen Pflanzen vor, die nicht als Bitterstoffpflanzen bekannt sind, weil andere Wirkstoffe (wie z.B. ätherische Öle) und deren Wirkungen stärker gewichtet werden. So kann man auch die verschiedenen Bittermittel in Kategorien einteilen. Liegen allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit oder Antriebslosigkeit vor, bei der auch die Verdauung oder das Immunsystem nicht auf Touren kommen, gehören Amara tonica ins Behandlungskonzept. Unter der Bezeichnung Amara tonica werden Bitterstoffpflanzen zusammengefasst. Diese wirken hauptsächlich tonisierend. Bei einer grundsätzlich guten Konstitution kann durchaus mit dem starken Enzian gearbeitet werden. Sind die Kräfte sehr stark reduziert, empfiehlt es sich, mit feinen Wirkimpulsen wie denen des Löwenzahns zu starten, um dann in kleinen Schritten dem Verlauf entsprechend zu kräftigeren Bitterstoffpflanzen zu wechseln. Löwenzahntee-Zubereitung: 1 bis 2 Teelöffel mit ca. 150ml Wasser kurz aufkochen und etwa 10 Min. ziehen lassen, anschliessend absieben und warm trinken. Die stärkeren Bitterstoffpflanzen werden gerne in Teemischungen verabreicht, aber natürlich können auch diese «rein» eingenommen werden. In Ihrer Drogerie finden Sie auch entsprechende Pflanzenauszüge in Tropfen-, Dragee- oder Sprayform. Lassen Sie sich die Möglichkeiten zeigen und erklären. Wer hauptsächlich unter Verdauungsproblemen mit häufigem Völlegefühl, Blähungen, Winden oder leichten Krämpfen leidet, ist mit Bitterstoffpflanzen der Kategorie Amara aromatica gut bedient. Diese Pflanzen enthalten neben Bitterstoffen auch ätherische Öle. Meist steht die stärkende und aktivierende Wirkung auf den Magen im Vordergrund. Auch hier gilt es, die Pflanze entsprechend dem Menschen auszuwählen, um den Stoffwechsel nicht mit zu starken Reizen zu überfordern. Sehr bekannt in dieser Gruppe ist der Wermut (Zubereitung s. Löwenzahn). Stehen krampfartige Beschwerden im Vordergrund, bieten sich die Schafgarbe und die Engelwurz an. Dazu 2TL Scharfgarbe pro Tasse mit heissem Wasser übergiessen und ca. 8 Min. ziehen lassen. Engelwurz drei Mal täglich als Tinktur einnehmen. Ingwer kann nicht nur bei Übelkeit und Durchfall, sondern auch bei Erkältungen eingesetzt werden. Dafür verantwortlich sind die in den Amara acria vorhandenen Scharfstoffe. Sie bringen stark erwärmende und keimtötende Effekte hervor. Eine klärende und schützende Wirkung auf die Magenschleimhäute entfalten die Amara mucilaginosa. Sie sind meist wenig bitter und schleimhaltig. So empfiehlt sich beispielsweise Isländisch Moos bei Reizungen der Magen- und Darmschleimhaut. Dazu 1 Teelöffel dieser Flechte in einer grossen Tasse mit heissem Wasser übergiessen und 6 bis 10 Minuten ziehen lassen. Viel bekannter ist ihr Einsatz jedoch bei trockenem Husten und Heiserkeit, insbesondere als Lutschtabletten. Bei diesen wird der bittere Geschmack meist übersüsst, wodurch ein Teil der möglichen Wirkungen verloren geht.

… und heute? 

Heute haben wir ein leicht gestörtes Verhältnis zu Bitterstoffen. Uns fehlt meistens etwas leicht Bitteres in der täglichen Nahrung, weil unsere Gemüse mild gezüchtet wurden und Süsses allgegenwärtig ist. Täglich kleine bittere Impulse täten uns sehr gut, deshalb suchen Sie die Bitterkeit, um die Süsse des Lebens noch besser und gesünder geniessen zu können. 

Empfehlungen 

Nutzen Sie die stärkende und aktivierende Wirkung von Bitterstoffen im Alltag, indem Sie bitterere Gemüse und Salate im Menüplan einbauen und das Süsse etwas reduzieren. Bitterstoffe verlieren an Wirkung, wenn sie zu lange gelagert oder der Hitze ausgesetzt werden. Deshalb sollten die Zubereitungsempfehlungen eingehalten werden. Bitterstoffe haben je nach Einnahmezeitpunkt eine andere Wirkung. 30 Minuten vor dem Essen eingenommen, fördern sie den Appetit. Nimmt man sie unmittelbar vor dem Essen zu sich, unterstützen sie zwar die Verdauung, können aber durch das schnellere Einsetzen der Verdauungsprozesse den Hunger etwas dämpfen. In Ihrer Drogerie erfahren Sie, welche Bitterstoffe in welcher Darreichungsform (Tee, Tropfen, Dragees etc.) Ihnen am besten helfen.

Text: Patrick Seiz​​, Bilder: © pixabay

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